Hallo liebe Birgit! Danke, dass du dir für uns die Zeit nimmst um uns einige Fragen zu beantworten und damit mehr Verständnis für unseren Körper bzw. unser Training näher bringst!
Hallo Steffi, danke für die Einladung!  ..

Fangen wir gleich mal an bei der ersten und einer ganz wichtigen Frage: 

Was ist das allerwichtigste beim Stretching aus deiner Sicht? Auf was sollte man bewusst achten und was sollte man auf keinen Fall tun?
Auf jeden Fall sollte man vor dem Stretchen den ganzen Körper mindestens 10 Minuten gut aufwärmen, einfach mal zwischendurch in den Spagat hüpfen, wenn man ihn nicht kann, kann schnell ins Auge gehen.. 

Beim Stretchen selber niemals die Luft anhalten oder gepresst atmen.
Auf keinen Fall über den tolerierbaren Dehnschmerz hinaus gehen- wenn man merkt, dass sich rundherum alles verkrampft und es nur mehr weh tut, macht es einfach keinen Sinn weiter in die Dehnung reinzugehen- da baut der Körper so viel Schutzspannung auf, dass man eh nicht dagegen ankommt… Sprich, bewusst auf den Körper hören wann es genug ist! 

Was stretcht man denn genau? Wir wirkt sich das Stretching auf unsere Muskeln aus und was passiert da im Körper?
Um zu verstehen was beim Dehnen im Muskel passiert, muss ich kurz den Aufbau erklären: Ein Skelettmuskel besteht aus Muskelfasern, die parallel in Faserbündeln verlaufen. Jede Muskelfaser enthält Myofibrillen- eine Funktionseinheit aus verschiedenen Proteinen, die der Zelle eine aktive Verkürzung ermöglicht. Bei einem Dehnreiz, werden diese Komponenten auseinander gezogen – es kommt also in dem Moment zu einer Verlängerung der Muskelstruktur. 

Das umhüllende Bindegewebe setzt einen gewissen Widerstand entgegen, um vor einer Überdehnung zu schützen. Außerdem gibt es noch die Muskelspindeln- sie verhindern, dass der Muskel bei zu starker und vor allem zu schneller (!) Dehnung reißt, indem der Muskel wieder kontrahiert – das ist ein Reflex, den man auch nicht ausschalten kann. Genauso verhält es sich bei Schmerz- Schmerz erhöht die Muskelspannung- schließlich ist der Körper ja bestrebt seine Strukturen zu schützen. 

Entspannt sich der Muskel nach der Dehnung, wird er wieder in seine ursprüngliche Länge zurückgezogen- er bleibt also de facto nicht so lange. 

Für die Beweglichkeit insgesamt sind aber weitaus mehr Faktoren wichtig, als nur der Muskel an sich. Faszien, Bänder, Sehnen, Nerven- alle umliegenden Strukturen müssen gut gleiten können, damit wir beweglich sind. Die Elastizität dieser Strukturen ist genetisch bedingt- somit erklärt sich vielleicht, dass Dehnen und die Erfolge oder manchmal auch leider ausbleibenden Erfolge sehr individuell sind.. 

Ich hatte vor 2 Jahren eine Sehnenscheidenentzündung im Handgelenk und trotz der Tatsache dass es schon so lange her ist, habe ich immer noch sehr oft Schmerzen bei Belastungen zB ein Handstand oder eine Brücke gehen garnicht! Welche Übung oder was genau wäre sinnvoll damit ich das Handgelenk stärke und wieder belasten kann? 

Generell vor derartigen Belastungen gut aufwärmen- Handgelenke kreisen- und dehnen in beiden Richtungen!
Neben der erforderlichen Kraft, vor allem auch der Schultern (!), ist die Mobilität im Handgelenk ein wesentlicher Faktor um eine Brücke zu machen oder im Handstand stehen zu können. 

Stütztraining, z.B. im 4Füßler, mit vorerst geradem Handgelenk- also auf der Faust stützend oder auf Liegestützgriffen-, aber bitte keinen Handstand auf der Faust probieren!
Um etwas spezifischer zu werden könntest du folgendes versuchen: 

Eine Hand auf Schulterhöhe an die Wand. Drehe den Arm so, dass die Fingerspitzen nach unten schauen- linke Hand nach links drehen, rechte Hand nach rechts herum drehen. Um die Dehnung noch zu erhöhen, kannst du nun den Körper noch wegdrehen. In dieser Position dann immer wieder leichten Druck gegen die Wand aufbauen. Atmen! Es darf im Arm ziehen, aber nicht im Handgelenk schmerzen- das hat oberste Priorität! 

Bringen dich mobilisierende und kräftigende Maßnahmen nicht weiter, wäre es sinnvoll, das Handgelenk mal physiotherapeutisch begutachten zu lassen. 

Ich habe oft, trotz Aufwärmen, starke Schmerzen im Handgelenk wenn ich trainiere, wenn ich nicht sofort aufhöre können diese Schmerzen auch gleich einige Tage andauern, sodass ich pausieren muss. Gibt es spezielle Übungen wie man die Handgelenke stärken/abhärten/oder dehnen kann? Oder gibt es einfach Menschen die empfindliche Handgelenke haben?
Schmerzen sollten immer ernst genommen werden. Im Prinzip macht es gar keinen Sinn in einen Schmerz noch weiter rein zu trainieren- „no pain, no gain“ macht dir leider langfristig nur mehr Probleme! Und dein Körper wird nach jeder erneuten Überbelastung früher mit Schmerz reagieren.
Und ja, jeder hat so seine bestimmten Schwachstellen am Körper.
Wichtig wäre hierbei zu untersuchen, ob es ein strukturelles Problem gibt oder ob deine Technik bei gewissen Übungen nicht gut ist und es deswegen zu einer Überlastung und Schmerz kommt! 

Stimmt es, dass es bei manchen garnicht möglich ist, zB einen Herrenspagat zu schaffen? Ich habe schon oft gehört, dass es bei manchen Menschen garnicht möglich ist die Hüfte in diese extreme Richtung zu öffnen. Stimmt das?
Ja, das stimmt. Das „Spagateln“ setzt eine extreme Gelenksbeweglichkeit voraus, die nicht jedem gegeben ist. 

Ich persönlich schaffte es schon als Kind nicht in den Herrenspagat und war im Ballettunterricht oft gefrustet, als einzige nicht in der kompletten Grätsche plan am Boden zu liegen- nicht mal als meine Lehrerin damals regelmäßig nachdrückte- das hat einfach nur weh getan, aber der Herrenspagat blieb trotzdem aus… 

Ich hatte vor 1 1/2 Jahren eine Nervenwurzelentzündung im unteren Rücken auf der rechten Seite, Die Entzündung ist bereits verheilt aber trotzdem habe ich oft Probleme wenn ich in die Rückenbeuge gehe oder den Damenspagat dehne. Wenn ich länger im Spagat sitze (ca. 1 Minute) merke ich wie sich mein unterer Rücken richtig verkrampft. Was muss ich tun, damit das effektiv besser wird?

Um dir bei dieser Problematik einen qualifizierten Tipp geben zu können, müsste ich die Lendenwirbelsäule untersuchen! Offensichtlich hat deine Wirbelsäule Probleme damit, den Druck der bei diesen Position herrscht, gut zu verarbeiten- das kann an einem nicht optimal stehenden Wirbelkörper liegen oder einem muskulären Defizit oder einem generell verkrampften Muskel oder verklebten Faszien oder oder oder … Da gibt es wirklich viele Strukturen, die als Ursache in Frage kommen! 

Ich habe mich auf der Oberschenkelrückseite/Gesäß vor 4 Wochen verletzt, weil ich es beim Stretching etwas übertrieben habe. Ich weiß dass man bei einer Zerrung Geduld braucht, aber gibt es vielleicht Tipps wie man den Heilungsprozess beschleunigen kann? 

Oftmals liegt die Problematik nicht am Muskel an sich, sondern vielmehr an verklebtem Fasziengewebe. Eine gezielte therapeutische Behandlung der Faszien in dem Bereich zeigt sofort ob es daran liegt.
Generell moderate Belastung, kein isoliertes Krafttraining der hinteren Oberschenkelmuskulatur solange du Schmerzen dabei hast.
Sanfte Massagen sind gut und du kannst folgendes versuchen:
Setz dich bequem hin und stelle das betroffene Bein auf. Umgreife deinen Oberschenkel mit beiden Händen rechts und links und bewege die Hände als würdest du ein Handtuch auswringen. Die so entstehende Querdehnung kann leichte Verklebungen lösen und das Gewebe kann sich entspannen. 

Ich bekomme fast immer einen Krampf wenn ich in der Grätsche aufrecht sitze. Mute ich damit meinen Muskeln zu viel zu? Oder brauch ich Magnesium oder fehlt ein anderer Stoff?
Da wäre jetzt interessant zu wissen, wo du den Krampf bekommst.. Aber generell: Bist du zu weit in einer Dehnung drin bzw. dehnst du über deinen tolerierbaren Dehnschmerz hinweg?
Atmest du entspannt dabei?
Gibt es ein muskuläres Defizit, z.b. im Rücken? 

Bestehen die Krämpfe nur in dieser einen Position, scheint mir ein Magnesiummangel nicht der Grund zu sein. Neigst du generell dazu nach dem Training mit krampfenden Muskeln zu kämpfen wäre Magnesiummangel eine Möglichkeit- schließlich verbrauchen wir beim Sport um ein vielfaches mehr davon.. 

Ich verspüre im Herrenspagat/Straddle oft einen Stich/starkes Ziehen im Knie, außerdem spüre ich an der Beininnenseite keine Dehnung. Mach ich etwas falsch? Was kann ich dagegen tun?
Das Fehlen eines Dehngefühls ist grundsätzlich nichts negatives. Die Frage hierbei ist, wo genau im Knie der Stich bzw. das Ziehen auftritt. 

An der Innenseite? Hier könnte eventuell das Rollen der Adduktoren und der Beinrückseite mit der Blackroll Abhilfe schaffen.. 

Belastet es den Rücken zu sehr wenn ich mit einer Skoliose im unterem Rücken Cocoon-Ähnliche Dinge stretche wie zB eine Needle oder King Pigeon?Die beschriebenen Positionen sind generell für den Rücken belastend, weil in der Rückbeuge auch noch eine Kompression in der Lendenwirbelsäule stattfindet. Sobald Schmerzen dabei in der Wirbelsäule auftreten, ist davon abzuraten. 

Die Skoliose an sich, lässt in bestimmte Richtungen mehr, in andere weniger Bewegung zu. Es kann also sein, dass nur die eine Seite gut funktionieren wird.. 

Wenn ich direkt in den Damenspagat gehe, spüre ich ein schmerzhaftes Ziehen an einem Strang in den Hamstrings, bei den Dehnübungen jedoch nicht. Das habe ich ca. Seit einem halben Jahr. Was ist das, woher kommt das und was kann ich dagegen tun? 

Es ist möglich, dass die Problematik gar nicht in den Hamstrings an sich liegt, sondern vielleicht in einer mangelnden Rücken – oder Hüftbeugerdehnung der anderen Seite.
Oder liegt eventuell eine, auch länger zurückliegende, Verletzung der Hamstrings vor? 

Wenn ich im Pike/Langsitz sitze und versuche mit einem geraden Rücken zu den Beinen zu ziehen, verspüre ich jedes Mal ungute Schmerzen im unteren Rücken! Ist das normal? Mit einem runden Rücken ist es dann besser. Was kann ich tun damit das besser wird? 

Nein, ungute Schmerzen- abgesehen von einem tolerierbaren Dehnschmerz- sollten dabei nicht auftreten.
Du kannst versuchen dich im Langsitz hinzusetzen und nur mal das Becken zu rollen- also rund machen und wieder aufrichten ohne den Oberkörper vorzubeugen. Wenn das gut klappt und keine Schmerzen verursacht, als nächsten Schritt aufrecht im Langsitz sitzen, die Arme nach oben strecken, dich richtig lang Richtung Decke strecken und dann langsam den Oberkörper nach vorne bewegen. Immer nur so weit, wie es keinen Schmerz erzeugt. Am Schmerzpunkt wieder zurück. Immer und immer wieder wiederholen und versuchen mit jedem Mal ein Stückchen weiter zu kommen. 

Was möchtest du uns noch mitgeben? Ein persönlicher Tipp von dir: 

Nichts erzwingen! Geduld haben, gerade wenn man neue Figuren oder Dehnübungen macht- der Körper braucht Zeit, sich an Neues oder Schwierigeres anzupassen!
Niemals Schmerz ignorieren- der hat absolut Sinn und versucht nur unsere Strukturen vor Schäden zu bewahren. Und auch akzeptieren, dass vielleicht nicht alle Figuren klappen, dafür sehen andere umso besser aus.. 

Ein großes Dankeschön nochmal an Birgit Roenig für dieses ausführliche Interview. Birgit ist Spezialistin in ihrem Gebiet! Falls du eine nähere Beratung/Behandlung benötigst und in Wien oder Umgebung wohnst, kannst du hier gerne um einen Termin anfragen -> https://www.physio-therapie.org

Birgit’s Behandlungen finden in Mauer und Guntramsdorf statt und ist meine persönliche Retterin an manchen Tagen! Ich habe selbst sehr viele Baustellen gehabt und habe auch jetzt noch durch das viele Training oftmals Verspannungen bzw. Verklebungen und nach Birgit’s Stunden ist meist wieder alles gut! Es lohnt sich also auf jeden Fall!

In diesem Sinne wünsche ich euch allen baldige Besserung falls ihr gerade mit Zerrungen/Verspannungen kämpft und natürlich weiterhin viel Erfolg beim Stretching! Für weitere Fragen könnt ihr euch natürlich auch gerne bei mir melden :)

Eure Steffi ♥